Aus Liebe zu unseren Kindern

Aus Liebe zu unseren Kindern – Go & Change

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Aus Liebe zu unseren Kindern

Wir sind Veronika und Gordian, die Eltern von Milan.

[Ursprünglich schrieben wir diesen Text zusammen mit einem weiteren Gemeinschaftsmitglied, welches damals mitverantwortlich in das Geschehen um Milans Tod herum involviert war. Inzwischen möchte diese Person nicht mehr diesbezüglich benannt und zitiert werden.]

Wir wollen uns hier zu dem unglücklichen Unfalltod unseres Sohnes und dem viel zu frühen Ableben von der kleinen R. und dessen Instrumentalisierung in der Diffamierungskampagne gegen unsere Gemeinschaft Go&Change äußern.

Vor über zweieinhalb Jahren ist die kleine R. im Alter von drei Wochen am plötzlichen Kindstod gestorben. Einen Monat später kam die Rettung für unseren anderthalb jährigen Jungen Milan leider zu spät. Er war beim Drachensteigen in den Teich, nur wenige Meter von unserem Grundstück entfernt, gefallen und verstarb am nächsten Tag an den Folgen des Sauerstoffmangels.

Die meisten Menschen mögen sich glücklicherweise kaum vorstellen können, wie es ist sein Kind zu verlieren oder für den Tod des Kindes seiner Freunde mitverantwortlich zu sein.

Als Eltern und als Gemeinschaft so kurz hintereinander zwei unserer Kinder zu verlieren war für alle Beteiligten eine kaum vorstellbare schmerzliche Herausforderung.

Wir haben uns ihrer angenommen, haben gefühlt, getrauert, geweint, gezweifelt, geredet, vergeben und gelacht und so können wir heute – aus unserer Liebe – miteinander diesen Text hier schreiben.

Der Anlass ist jedoch alles andere als schön, denn wir schreiben diesen Text, weil einige Menschen, sogar alte Freunde und Bekannte von uns, den Tod unserer Kinder benutzen wollen, um unsere Familie zu zerstören und das Leben unserer anderen Kinder damit gleich mit. Wie werden es unsere Kinder wohl finden, wenn ihre Klassenkameraden nicht mit ihnen spielen dürfen, weil ihre Eltern durch die Diffamierungen Angst um ihre Kinder haben?

Wir sind empört, bestürzt, traurig und wütend, zu sehen wie salonfähig es zu sein scheint in der Öffentlichkeit so empathielos den Verlust unserer Kinder zu instrumentalisieren. Niemand schützt uns oder fragt uns, die Eltern und Beteiligten, wie es uns damit geht. Denn wer sollte denn das Ereignis beurteilen, wenn nicht wir, die Eltern?

Daher haben wir uns entschieden unsere Sicht der Dinge zu teilen, um dem Zerstörungswillen etwas in Liebe entgegen zu stellen:

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Gordian, Vater:

Als Vater eines der beiden verstorbenen Kinder unserer Gemeinschaft möchte ich meinen Standpunkt der Debatte hinzufügen. Als Milan im März 2019 in den Teich fiel und wir ihn wegen der schweren Unfallfolgen aus dem Leben verabschieden mussten war das ein krasser Einschnitt und eine große Herausforderung für mich und unsere Gemeinschaft. Wie verarbeitet man den Tod des eigenen Kindes? Wie kommt man damit zurecht, dass das eigene Kind unter Aufsicht der eigenen Freunde verunfallt und stirbt?
Ich arbeite derzeit als Arzt in einer Klinik für Psychotherapie und erlebe häufig, wie schwer plötzliche Todesfälle, vor allem von eigenen Kindern, die Biographien, Beziehungen und Familien belasten und spalten. Wie schwer es vielen fällt, die Trauer zu verarbeiten. Ich bin unfassbar berührt und dankbar, wie ich von der ersten Minute nachdem ich den Beatmungsbeutel dem Notarzt übergeben hatte, von Freunden gehalten war, unterstützt wurde beim Fühlen des Schmerzes, beim Erinnern an das Schöne, was Milan in mein Leben gebracht hat und beim Verarbeiten der Fassungslosigkeit und des Unverständnisses gegenüber dem Rätsel des Todes. Mir half in dieser Zeit vor allem, dass wir trotz der Trauer nie aufhörten, gemeinsam zu tanzen, die schönen Erinnerungen gleichzeitig mit dem Abschied zu fühlen und uns auf unsere Lebendigkeit zu besinnen und nicht aufgrund des sinnlosen Todes in Depression zu versinken.
Was ich verstanden habe ist, dass die Zuweisung von Schuld in dieser Situation eine Möglichkeit gewesen wäre, meine Trauer über den plötzlichen Abschied abzuwehren und stattdessen andere damit zu beladen. Ich habe mich dagegen entschieden und stattdessen Vergebung, Freundschaft und Mitgefühl wichtiger genommen. Das ist mir nicht an allen Tagen gelungen. Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren seit Milans Tod oft und lange miteinander gesprochen, für Klärung gesorgt, um Verständnis und Vergebung gerungen, einen Umgang mit Wut, Trauer, Ohnmacht, Schuldgefühlen, Verbindung und Vergebung gesucht und uns nicht verurteilt, sondern weiter geliebt. Das war mir wichtiger als Vergeltung. Ich habe die Betreuung meiner beiden Kinder immer wieder meinen Freunden übertragen und tue das auch heute, weil ich ihnen vertraue und sehe, wie glücklich und lebendig sich mein Sohn und die anderen Kinder in dieser Gemeinschaft entfalten können.

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[… an dieser Stelle war ursprünglich das persönliche Statement des oben genannten Gemeinschaftsmitgliedes zum Erleben der Geschehnisse zu lesen]

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Veronika, Mutter:

Ende Februar 2019 kam ich gemeinsam mit meinen beiden Söhnen für zwei Wochen nach Lülsfeld, um hier gemeinsam mit dem Vater der beiden Familienzeit zu verbringen und mich weiter an die Gemeinschaft anzunähern.

Am Montag, dem 4. März wurde ich aus dem Kloster geholt mit der Nachricht, dass etwas mit Milan passiert sei. Wir rannten zum Teich hinter dem Kloster-Grundstück. Ich sah den Rettungshubschrauber, die Krankenwagen, ich sah viele Menschen: Sanitäter, Feuerwehrleute aus dem Dorf, meine Freunde aus unserer Gemeinschaft. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich den Körper meines kleinen Sohnes, wie er regungslos neben dem Teich lag, bevor ich von Sanitätern vom Unfallort abgeschirmt wurde. Im Augenwinkel sah ich die Hingabe meiner Freunde, welche vorher mit Milan und den anderen Kindern zum Drachensteigen losgezogen waren. Ich blieb sehr ruhig, war im Schockzustand. Meine Freunde waren bei mir mit aller Präsenz und Ruhe, die sie in diesem Moment aufbringen konnten. Erst 4 Wochen vorher hatten sie den plötzlichen Kindstod eines neugeborenen Gemeinschaftsmitglieds miterleben und verarbeiten müssen.

Auch den Weg in die Klinik mussten wir als Eltern nicht allein gehen. Selbst den behandelnden Ärzten war anzumerken, dass ihnen durch die Unterstützung, die wir als Eltern von unserer Gemeinschaft erfuhren eine große Last abgenommen wurde. Während sich in den Gesprächen mit den Ärzten immer mehr abzeichnete, dass Milan nicht mehr zurückkommen würde, entschied ich mich, aus dem Nebel aufzutauchen. Ich konnte mehr als je zuvor sehen und annehmen, was wirklich Wichtig und von Bedeutung war. Gemeinsam haben wir Milan am Abend des darauffolgenden Tages verabschiedet. Während die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt wurden, entstand mit Milan in unserer Mitte ein langer, heilsamer Moment in dem alles sein durfte was in uns war: Trauer, Wut, Freude, Hoffnung, Erinnerung, Verzweiflung, Panik, Humor, Dankbarkeit, Schmerz, Angst, Vergebung, Vertrauen, Liebe.

In den darauffolgenden Tagen und Wochen nahmen wir uns so oft, wie es nötig war, den Raum, all das zu fühlen und darüber im Gespräch zu sein. In unserem Kreis – auch im engsten Kreis an Milans Sterbebett – waren immer auch die Menschen dabei, die in der Verantwortung waren als der tödliche Unfall passierte. Als ich mich entschieden hatte, aus dem Nebel aufzutauchen und der Wahrheit zu begegnen, begegnete ich auch der Verantwortungs- bzw. Schuldfrage. Ich prüfte in der Tiefe – anhand jeder Begegnung in unserem gelebten Miteinander der letzten Monate und Jahre – ob ich den Menschen und dem Ort an dem mein Kind gestorben war – vertraute. Ich prüfte, ob es irgendetwas oder irgendjemanden gab, der es aus Böswilligkeit, Nachlässigkeit oder Lieblosigkeit gegenüber Menschen aktiv zu verantworten hatte, dass das passiert war. Ich prüfte dabei auch mich selbst und begegnete offen meinen Schuldgefühlen. Ich vergegenwärtigte mir jeden einzelnen Menschen in seiner Liebe zu meinem Kind. Ich beantwortete diese Stellen mit tiefem Vertrauen und Liebe. Ich kenne keinen schöneren und sichereren Ort für mich und meine Kinder, denn ich weiß, dass es keinen Ort auf dieser Erde gibt, an dem ein solches Unglück nicht hätte passieren können.

Während viele meiner alten Freunde und Bekannten befürchtet oder erwartet hatten, dass ich am Schmerz über den Verlust meines Kindes zerbrechen würde, in Depression und Weltflucht fallen würde, Erlösung einzig und allein im Finden von Schuldigen erlangen würde, konnte ich im Kreis der Gemeinschaft an dieser schwersten Aufgabe meines Lebens wachsen. Unterstützt von unserem gemeinsamen Leben erfuhr und lebte ich Lebensfreude, Freundschaft, Vertrauen, Nähe und Familie so tief und frei wie nie zuvor und tue es noch heute.

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Wir alle haben in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Arten unseren Weg und unseren Frieden mit dem Tod unserer Kinder gefunden. Immer wieder stoßen wir dabei auch erneut auf schmerzhafte Punkte und finden weitere Wege der Ehrlichkeit, des Vertrauens, der Prüfung und der Vergebung.

Wir wünschen allen Menschen, die einen solch schweren Verlust erleben müssen, darin gehalten, getragen und geliebt zu werden und Menschen und Räume zu finden, mit und in denen sie all das fühlen können was zum Leben und Sterben dazugehört.

Wir wünschen uns und unseren Kindern, dass die Diffamierungen bald ein Ende haben und Milan und R. nun endlich in Ruhe ihren Frieden finden dürfen.

Wir verlangen von unseren alten Freunden und Bekannten aufzuhören, den Tod unserer Kinder immer wieder so schmerzlich zu instrumentalisieren.

Lasst uns stattdessen doch in Liebe schauen, was es noch zwischen uns zu sagen und zu heilen gibt!

In Liebe,
Gordian, Veronika und […]
Lülsfeld und Gerolzhofen, den 10.11.2021